Würde man mich jetzt nach meinem Wort des Jahres 2020 fragen, wäre es für mich aktuell das Wort: system-relevant!
Als erstes kam mir dieses Wort, fast schon als Un-Wort auf, als es hieß, sämtliche künstlerische Tätigkeit mit Publikumsverkehr sei jetzt einzustellen. Da sei nicht system-relevant.
Wie muss sich das für einen Künstler anfühlen, als erster zu hören, seine Tätigkeit sei nicht system-relevant. Sonst rühmt sich Deutschland als Land der Denker und Dichter und wie wichtig die Kultur sei. Sie bekam als erste “Branche” die große Klatsche.
System-relevant bezieht sich immer auf seinen Bezugskontext.Es ist also etwas bezogen auf ein System relevant oder nicht. Welche Maßstäbe setzt dieses System an, so dass dann entschieden werden kann, was relevant ist und was nicht? Was sind die Grundlagen dieses oder eines anderen Systems und welches System werden wir erschaffen, dass vielleicht völlig neue system-relevante Kerne benennen kann?
Und verstehe mich nicht falsch, mir ist schon klar, dass Maßnahmen getroffen wurden, um in dem Falls das Gesundheitssystem als das relevantere zu sehen, und Maßnahmen zu treffen, dieses zu schützen.
Doch wird ist durch die aktuelle Zeit nicht insgeheim klar, dass JEDER system-relevant ist?
Wenn ich selbst in den letzten Jahren am Rande mitbekommen habe, dass es dieser oder jener Branche nicht gut ging, Kurzarbeit verhängt oder ein Rettungsschirm entwickelt wurde, dann schien diese Krise aus wirtschaftlicher Sicht immer noch wie eine Kapsel. In dieser kriselte es und am Rande der Kapsel ebbte es ab, konnte es abgefedert werden und weitere Branchen waren nicht (wirklich) involviert oder profitierten sogar davon.
Jetzt durchwandelt diese Zeit jede Branche, früher oder später – sei sie system-relevant oder -irrelevant zwischen den Branchen, zwischen Ländern oder über den ganzen Planeten verteilt. Ein Domino-Stein fällt und lässt den nächsten ebenso zum Kippen oder Fallen bringen. Unser Geldsystem (unabhängig davon, was ich von den negativen Auswüchsen wie Zinseszins oder Handel auf Rohstoffe, Wetten auf fallende Kurse, etc. halte), lebt auch das “gute” Geld davon, im Umlauf zu sein. Und dieser Umlauf kommt nun fast schon mit Vollkaracho zum Erliegen, deswegen all die gewaltigen Ideen der Soforthilfen, Kredite etc. Sorgen machen sich viele über die Verpflichtungen, die man nicht einfach stoppen kann: also Verpflichtungen des Geldtransfers gegenüber stagnierender oder kompletter Einnahmeausfälle auf der anderen Seite.
Jeder ist system-relevant, jeder ist selbst ein System, das für sich sich selbst in der Regel als relevant empfindet. Jeder besteht aus Systemen, die fraktal immere weitere, zwar dann weniger komplexere, aber doch Systeme beinhaltet. Ebenso sind wir als System fraktal ein Teil eines Systems, das ein Teil eines Systems ist, das ein Teil eines weiteren Systems ist u.s.w.
Wie viele Teile eines Systems können wegbrechen, bevor das Gesamtsystem zusammen bricht? Das hängt natürlich vom System selbst wiederum ab und auch davon, ab wann man die Veränderung als Zusammenbruch be-wertet. Um nur 2 Größen davon zu nennen.
Was ist für mich persönlich system-relevant?
Zu welchem System möchte ich gehören? Wo kann ich das beeinflussen und wo nicht? Welchen Teil habe ich in ein altes (so nenne ich jetzt mal unser aktuelles Wirtschaftssystem mit entsprechendem Menschenbild dahinter) beigetragen, den ich selbst nicht so toll fand?
Wo habe ich das System genährt, wo habe ich es selbst gebraucht, wo sogar vielleicht mißbraucht?
Welche Werte habe ich in diesem alten System gesehen? Welche wollte ich vorher schon nicht mittragen, welche hätte ich gerne selbst mehr gesehen, welche hätte selbst gerne mehr gelebt?
Mich beschleicht ja das Gefühl, dass es ebenso wie ein vor und nach Christus in der Zeitrechnung für uns ein vor und nach Corona geben wird, beides abgekürzt mit v.C. und n.C. (auch das ist ja interessant…)
Ob unser neues n.C., wann auch immer der Startpunkt des n.C. definiert wird, mehr als 2000 Jahre die Berechtigung eines Narratives erhält, wird wiederum die Zeit selbst zeigen.
Vielleicht wird aber auch alles ganz anders und das wird kenntlich gemacht durch ein m.C. – also ein Leben MIT dem Virus.
Mich beschäftigt nicht nur aus integraler Sicht ganz unabhängig von Corona die Bewusstheit darüber, dass wir ein System im System sind wie oben schon geschrieben.
Jeden Tag entscheide ich bewusst oder unbewusst welche Teilsysteme ich in mir und um mich herum nähren, beachten, vermeiden oder ignorieren will. Doch wir existieren nie ohne diese Systeme in und um uns herum. Deswegen auch die oben offenen geschriebenen Fragen, wie und in welchen Systemen möchte ich ein wichtiger Teil sein?
Vielleicht gibt diese aktuelle Zeit auch die Möglichkeit, sich diese Fragen zu stellen.
Und nicht jede Frage wirst Du sofort für Dich beantworten können. Manche Frage “wabert” vielleicht noch länger in Dir, bis sie sich als Antwort formen darf, bis Du die Antwort artikulieren kannst.
Ein n.C. oder m.C. wird viele Seitenaspekte als Sekundär- oder Spätfolgen im Positiven wie im Negativen (je nach systembezogener Bewertung) aus meiner Sicht erst in mehreren Monaten oder Jahren zeigen.
Wer jetzt so wie ich selbständige Aufträge, Beratungstätigkeiten und Seminare anbietet, stellt sich die Frage wie man das weiter machen möchte.
Ich stelle mir diese Frage zumindest. Ich sehe sowohl für meine Marketing-Beratung als auch meine integrale Persönlichkeitsberatung durchaus einen helfenden Dienst, diesen möglichen inneren Fragen, Ängsten etc. jetzt nachzugehen.
Eine Phase für meine Kunden – ob im Beruf oder Business – in der weniger los ist, bietet immer die Möglichkeit, nicht nur IM sondern AM Unternehmen zu arbeiten.
Auch ich werde mir diese Fragen in unterschiedlichen Facetten stellen.
Was ich aber spüre, dass dies zumindest für mich jetzt nicht aus einer Hektik geschehen sollte. Ich habe für mich Stand heute gar keine Hektik und auch keine Angst. Hektik kann aus Angst hervorgerufen werden – und dies ist erstmal nicht klein zu reden. Diese Angst möchte gesehen werden, und dann kannst Du schauen, was z.B. Du mit mir daran ändern kannst. Und ich kann auch die Angst und die daraus entstandene Hektik, weil es beruflich jetzt vielleicht wirklich existentiell bedrohlich aussehen könnte, absolut verstehen.
Nach Corona – ein Systemwandel? Aber ich bleibe der Gewinner!?
Ein Systemwandel wird aus vielen Ecken gerade befürwortet. Jeder stellt sich unter diesem Wandel aber auch etwas anderes vor. Und ja im Grunde hofft jeder, dass er auf der oft beschworenen Gewinnerseite des Wandels sein möge. Auch im Coaching von Kollegen, von dem was sie jetzt anbieten, merke ich diese alte Sprache des Gewinnens, des jetzt erst recht, des so kämpfst Du gegen die Krise und und und…hier wird mit alter Sprache und wohl auch mit alten Mitteln etwas Neues prophezeit oder verkauft.
Es ist jedoch die alte Leier, die man versucht neu zu vermarkten. Wie Simon Sinek (ich schätze seine Arbeit sehr und seinen “Golden Circle” nutze ich immer in der Business-Beratung) hat es mal in etwa so formuliert, dass viele sich im Business immer noch so verhielten als gäbe es so etwas wie den 1. Platz, den absoluten Gewinner, und dass vollkommen der innere wie der äußere Stress und auch die Ressourcenverschwendung übersehen wird, die dieses Weltbild bis dato hervorgebracht hat. Wenn jetzt viele nach dem Wandel rufen, aber letztlich wieder nur der Gewinner diesmal halt in einem anderen System sein wollen, dann hat man nicht wirklich etwas gelernt.
Der mögliche und auch von mir erhoffte Systemwandel, in dem andere Werte eben als system-relevanter gesehen werden als früher, hat für mich aber nicht die Folge, dass ich mich quasi endlich (Erreichen des 1. Platzes, das Siegertreppchen erklimmen) in einem unendlichen Spiel mit in sich verwobenen und Feedbackschleifen verhalten könnte – das ist, sorry, alt und nicht klug (und so arbeite und lebe seit Jahren nicht mehr).
Es ist natürlich auf einer bestimmten Ebene des Bewusstseins verständlich, dass man nicht zu den Verlierern des Systemwandels gehören möchte – aber auch hier die nicht beantwortete Frage: Wer definiert denn hier wen als Verlierer? Auf welcher Systemrelevanz bin ich der mögliche Verlierer? Und ja, es wird nicht weg zu denken sein, dass es vielen Menschen, so es zu einem Systemwechsel kommen mag, auch vorher noch nie leicht gefallen ist, sich Veränderungen auch kleineren Ausmaßes anzupassen. Sei es aus der Politik oder anderen Schraubstellen kommend, sollte auch klar sein, dass ich mich dieser Gruppe annehmen muss, diese vielleicht mehr an die Hand nehmen muss, hier mehr Alternativen anbieten und entwickeln muss und diese Menschen anders in die Gesellschaft einbinden muss, so ich sie z.B. nicht soziozentrisch und mit der Gefahr der Radikalisierung an den Rand drängen möchte. Die Gründe der sich schwer fallenden Veränderungsfähigkeit können sehr vielschichtig sein: banal z.B. das Alter, bzw. wer ohne eigenen Veränderungswillen 35 Jahre in einem bestimmten Feld tätig war, dieses jetzt weg fällt, dem kann man nicht einfach hinwerfen, dass er sich doch jetzt mal der digitalen Welt 2.0 anzupassen habe – das wird so einfach nicht gehen.
Veränderung in einem Bereich – so sie auch gewollt ist und gelingt, hat aber auch immer Veränderungen in anderen Bereichen zur Folge – so z.B. nach Ken Wilber kann ich in einem Quadranten eine Weiterentwicklung haben und die anderen Quadraten werden nachziehen. Das kann möglicherweise Beziehungsgefüge, Wertvorstellungen u.v.m. ins Wanken bringen und je nach Lebensstadium sind diese Änderungen auch nicht zum Wohle aller wünschenswert, auch nicht für die Person selbst. Das ist by the way auch die Verantwortung an mich als Beraterin, ob das aus integraler Sicht denn gut ist, jemanden z.B. noch von orange auf grün zu begleiten, wissend, dass sich radikal viel für diese Person verändern wird.
Anpassung und Ich-Zentrierung – Kommunion und Agenz
Wenn es diesen endlichen Platz in diesem unendlichen Spiel nicht gibt (und für viele ist das schon eine harte Erkenntnis) wird die Frage nach Agenz und Kommunion wie Wilber dies formuliert (oder wie ich es verstanden habe) immer wieder in einem neuen Wechselspiel herausgefordert. Ein Spiel – auch das unendliche – macht in der Regel nur Spass, wenn ich mich genügend selbst darin als ein autarkes Ich erleben kann, das das Gefühl hat, selbst gestaltend und selbst ermächtigt darin partizipieren zu können. Gleichzeitig wird meine Fähigkeit zur Kommunion, also zur Anpassung, z.B. in Form von Verhalten oder Kompromissen oder Kooperationen angesprochen, um ebenso weiterhin Teil dieses Spiels sein zu können. Diese Form der Kommunion kann auch mit einer bestimmtn Neigung versehen sein, weil man als Typ schon immer eher ein Wir-Mensch war.
Was heißt das z.B. für meine Arbeit mit Dir?
Kurz nach dem Bekanntgeben des Shutdowns wurde ich überschwemmt mit Online-Seminaren und -Kursen ob gratis oder nicht. Die kamen für mich quasi über Nacht daher geprasselt.
Ich habe genügend Stoff und Wissenswertes für div. Onlinekurse, merke aber, dass ich sie aus einem Schnell-Schnell heraus, gar nicht gestalten will. Möge mir dadurch das eine oder andere monetär auch verloren gehen. Doch es wäre für mich irgendwie aus einem alten Habitus heraus entstanden und das möchte ich nicht.
Die meisten meiner Kunden – egal ob Business oder privat – haben mich schon seit langem über Distanz “gebucht”. Workshops haben eher physisch stattgefunden. Und aktuell reagiere ich darauf, dass ich gefragt werde, ob ich nicht etwas online auch in Form von Seminaren machen kann und so mache ich das dann auch gerne (im Sinne der Kommunion), weil es gefragt wird. Diese Workshops können Dich genau darin unterstützen, Deine inneren Fragen zu stellen, Ängste zu transformieren und ebenso Ressourcen zu entwickeln, aus denen Du für Dich in Deine gestärkte Selbstermächtigung gehen kannst, im Beruf, in Deiner Beziehung, sowohl als auch. Also auch die Stärkung Deiner Fähigkeiten mit Agenz und Kommunion zu spielen.
Was will ich Dir damit sagen:
Neben der möglichen Angst dürfen viele Fragen entstehen, die Dich dazu führen können mehr zu entdecken, wie Du Dir Dein System gestalten willst im innen wie im außen – im außen zumindest in dem Maße wie Du darauf Einfluss nehmen kannst.
Jetzt kann Dir diese Zeit zeigen, was Dir wichtig ist, was Du beibehalten willst, was Du aber auch nicht mehr beibehalten willst. Und so salopp es jetzt vielleicht klingen mag: Wenn nicht jetzt, wann dann! Du hast quasi eh nichts mehr zu verlieren :-). Und damit will ich nicht sagen, dass Du irgendwas jetzt naiv starten solltest. Das ist mir auch in der Businessberatung wichtig, dass Du da nach innen schaust und Du auch für Dich auf vielen Ebenen überprüfst – und wir integral drauf schauen.
Zum Abschluss möchte ich noch ergänzen, dass für mich nicht nur jeder Mensch system-relevant ist, es sind für mich die Tiere, Pflanzen, Mineralien, die nicht physischen Wesen und es wird u.a. unsere Herausforderung sein, wie wir als Gesamtsystem als Teil eines Systems unseren natürlichen Selbsterhaltungstrieb im Sinne von Agenz und Kommunion gestalten möchten.
Über Natascha Pfeiffer
Natascha Pfeiffer, Expansion Method Practitioner und Groupleader, Co-Founder der Agentur PRand communication in Augsburg. Einzel- und Gruppenarbeit in Augsburg und via Skype.