Diesen Artikel hatte ich schon länger in Planung. Vor ein paar Wochen im Frühling habe ich u.a. einen Online-Kongress zum Thema Sexualität genutzt und habe mir dort viele Interviews angehört. Ich nutze solche Formate sowohl für mich privat als auch beruflich für Kunden zur stetigen Weiterbildung.
Was ganz oft von Sexual-Therapeuten, Trainern und Coaches gesagt wird neben der Ermutigung zur Selbsterforschung: Wisse, was Du willst! Wisse, was Du in Deiner Sexualität willst!
Ein Teil in mir denkt und spricht ebenso laut aus, auch gegenüber von Kundinnen: Das stimmt so nicht, dass Du wissen musst in der Sexualität, was Du willst!
Warum ich ich glaube, dass das sogar ungut sein kann, dass Du wissen musst, was Du willst:
1.
Viele Therapeuten und Sexualcoaches betonen die Wichtigkeit, dass man – vor allem Frau – wissen müsse, was sie will. Sie wollen damit meist fördern, dass sich Frauen gegenüber der Selbsterfahrung und Selbstliebe öffnen. Das verstehe ich und fördere das auch, das mache ich auch. ABER: So oft wird einfach nur gesagt, Frau soll wissen, was sie will.
Wisst ihr was? Das baut Druck auf! Ich merke das in Gesprächen und Sitzungen: Es entsteht eine neue Haltung, dass Frauen glauben, erst dann guten Sex oder eine gute Sexualität leben können, wenn sie wissen was, sie wollen. Und jetzt entsteht ein Erforschungsdruck!
2.
Wissen “müssen”, was man will – gebiert einen neuen falschen Glaubenssatz!
3.
Wissen, was man will, liegt immer in der Vergangenheit.
Ein konkretes Beispiel: in meiner letzten Beziehung habe ich bestimmte Stellungen nicht gemocht. Wäre ich mit diesem “Wissen, was ich will oder nicht will…” in meine jetzige neue Beziehung gegangen, wäre ein Teil der Sexualität von vornherein abgeschnitten gewesen, weil ich ja behauptet hätte, ich wüsste, das ich dieses oder jenes nicht mögen würde. Das “Wissen” bezieht sich also immer auf die Vergangenheit und hat nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun.
4.
Gerade für uns Frauen kann sich innerhalb von Sekunden der Standpunkt “Wissen-was-ich-will” ändern und zwar bezogen auf das Was!
Küsst mich mein Partner an einer bestimmten Stelle auf eine bestimmte Weise kann das wunderbar sein und 5 Sekunden später ist das nicht mehr gut – von einfach nicht so toll, aber okay, bis hin zu absolut upturnend. Für manche Frauen kann sich sogar etwas, das sich gut angefühlt hat, auch in Schmerz verwandeln…
Das heißt, in der weiblichen Sexualität kann sich selbst innerhalb einer sexuellen Begegnung vieles ändern, was wir wollen und, was wir nicht wollen und wir KÖNNEN es vorher gar nicht wissen! Wir erleben es in diesem Moment so!
5.
Neben dem Druck, wissen zu müssen, was man will, erleben viele Frauen ihre Sexualität wie in Punkt 4 beschrieben. Und weil sie überall hören und lesen, dass man ja schließlich wissen müsse, was Frau will, empfinden sie ihre erlebten Empfindungswechsel als falsch. Ein neuer falscher Glaubenssatz entsteht: etwas an meinem schwankenden Empfinden in der Sexualität ist flasch!
6.
Wissen müssen, was man will, erzeugt Stress.
Die Folge von Punkt 4 und 5 ist, dass viele Frauen, dann ihre Sexualtät für diesen Moment überhaupt nicht mehr genießen können. Ebenso merkt auch der Mann, dass Frau im Stressmodus ist. Viele Frauen fällt es generell noch schwer, ihrem Partner in dem Moment zu verbalisieren, wie sie berührt werden möchten. Wenn dann noch nach ein paar Minuten oder Sekunden ein: “Nein, Stopp, das gefällt mir so jetzt gar nicht mehr, was ich vorhin noch wollte.”, dazu kommt, dann merkt ihr, wird es für viele immer komplizierter und die Freude und die Verbindung ist eigentlich dahin!
AN DIE WUNDERBAREN MÄNNER: Wenn ihr das bis dato auch gelesen habt – vielleicht habt ihr das Gefühl manchmal bekommen, wir Frauen seien kompliziert im Bett.
Sind wir nicht, wir sind nur höchst individuell und das selbst bei langen Beziehungen. Ich kann sehr gut verstehen, dass ihr Eure Partnerin “lesen” wollt, und dass es befreiend sein kann, zu wissen, was sie will. Es gibt Euch auch eine Sicherheit, Eurer Partnerin Gutes zu tun, sie zu verwöhnen – weil man glaubt zu wissen, was ihr gefällt.. Und es kann auch verwirrend sein, wenn Eure Partnerin erst das eine zu verstehen gibt, was ihr gefalle und dann Sekunden später ist es anders! Ja, das kann ich verstehen!
Doch bitte geht dann nicht in die Haltung: Die Frau sei kompliziert, wenn ihr wahrhaftig versteht, dass die weibliche Sexualität sich selbst innerhalb des einen Aktes verändern kann. Dann ist auch die Äußerung eines neuen Wünsches an Euch keine Kritik, dass ihr vorher etwas falsch gemacht hättet…es ist nur ein Hinlenken zu dem, was sich dann wieder gut anfühlt.
Und Übrigens: Ist das nicht mega? Wenn der Fokus weg geht von der “sicheren Nummer” und “ich weiß, wie es meiner Freundin besorgen kann…”, hin zu: Mit meiner Freundin ist es immer anders, darf es immer neu sein.
Dann seid ihr wieder in der Erforschung Eurer Partnerin. Sie ist immer wieder neu, empfindet immer wieder anders und ihr könnt das immer wieder neu miteinander erleben. Klar gibt es bestimmte Tendenzen, die ähnlich bleiben. Aber es sind die feinen Nuancen, die sich ändern. Das führt Euch beide wieder zurück in eine wache und in dem Moment erlebte Sexualität und nicht das Herunterspulen einer Nummer.
Deine Frau wird dann zum ewigen Wunderland, dass es immer wieder neu zu erleben gilt! Wie schön! Und vielleicht darfst dann auch Du als Mann an und in Dir erleben, dass Du vielleicht auch das eine oder andere Deiner Partnerin mitteilen willst, was Du JETZT möchtest und was Du dann JETZT möchtest. Ist es denn nicht u.a. das, was Sexualität am Leben hält: Sich gegenseitig immer wieder neu zu entdecken?
Im Tantra heißt es u.a.: Wenn Du in Deiner Sexualität Langeweile empfindest, bist Du nicht achtsam genug.
Ich durfte lernen und darf auch immer noch lernen, dass meine Achtsamkeit mir und meinem Körper gegenüber in der Sexualität und auch die Wechsel von dem, was jetzt gut ist, aber vielleicht morgen nicht, ein echtes Geschenk ist. Weil wir Frauen durch unsere Zyklushaftigkeit auch die Männer dazu im positiven Sinne “zwingen”, achtsam zu sein, freudvoll zu sein, in das Hier und Jetzt zu kommen, im Schoß der Frau – im Schoß der Frau MIT der Frau.
Was ich sehr wohl glaube, was Frau wissen sollte:
Es geht nicht um die Technik und das Wissen müssen, ob jene Stellung oder eine andere, jene Praktik oder eine andere.
Ich finde es wichtig, dass wir um unsere Werte wissen innerhalb sexueller Begegnungen.
Ich finde es wichtig, dass wir unsere Rahmenbedingungen wissen, in denen wir uns auf Sexualtät einlassen wollen.
Ich finde es wichtig, dass wir für diese Werte und die Rahmenbedingungen Sorge tragen und das niemandem anderen überlassen.
Ich finde es wichtig, dass wir “wissen” wie sich ein in dem Moment gefühltes “Ja” oder ein “Nein” in uns zu etwas (Berührung, Stellung, Praktik) anfühlt, damit wir das dann uns und dem Partner gegenüber kommunizieren können.
Ich finde es wichtig, dass wir unsere innere Haltung zur Sexualität wissen: die eigene innere Haltung und die des Partners.
In diesem Sinne – erfreut Euch daran, dass wir nichts wissen!
Alles Liebe,
Natascha
Über Natascha Pfeiffer
Natascha Pfeiffer, Expansion Method Practitioner und Groupleader, Co-Founder der Agentur PRand communication in Augsburg. Einzel- und Gruppenarbeit in Augsburg und via Skype.